Texte zur Kunst und Netzkunst 1996 - 2002

Eine Krise ist noch keine Katastrophe

Posted by Stefan Beck on Wednesday, October 15, 1997
Zu der letztjährigen Ausstellung "Etwas besseres als den Tod findest du überall" ist endlich der Katalog erschienen, herausgegeben von Thomas Erdelmeier, Manfred Schneider und Brigitte Franzen, die sich bezüglich der Ausstellung nicht als Kuratoren verstanden wissen wollen, sondern eher als Moderatoren unterschiedlicher Sichtweisen auf das Phänomen Großstadt:
"Die Verbindung aus subjektiven Einzelbeobachtungen und Themen städtischer Öffentlichkeit [] verknüpft mit der Reflektion der eigenen künstlerischen Position, ist für uns der konzeptionelle Leitfaden für das Projekt gewesen. [] Eine weder inszenierte noch moralisch-aufklärerische Themenausstellung, sondern eine Ausstellung als Matrix für eine disparate Montage, war unser Ziel."

Gemessen an der Unverbindlichkeit dieser Vorgaben aus einem aktuellen Jargon heraus ("Matrix", "disparate Montage"), verspricht das Vorwort des Kataloges auch nicht zuviel.

Gegenüber der Ausstellung kommt dem Katalog auch eine Kompaktheit und Kompression zugute, die die Ausstellung, über mehrere Räume verteilt, zuweilen vermissen ließ. Auch erfüllt der Katalog die von den Herausgebern erwünschte Eigenschaft einer "Ergänzung" zur Ausstellung, als er sowohl die Künstler deutlicher zu Wort kommen, wie auch einige Theoretiker übergreifender erkunden läßt.

Der sich durchweg kritisch äußernde Text von Stefan Germer ist ein besonderer Pluspunkt, und spricht für eine offene Haltung der Herausgeber. Trotz dieser beachtlichen Leistung kommt der Katalog in der Exploration des Untertitels oder eigentlichen Themas: "Über das Verhältnis von Kunstproduktion und Stadt" nur wenig weiter.

Zwar schreiben die Herausgeber: "Die Idee [] entwickelte sich aus unseren persönlichen Fragen und Interessen an den Lebens- und Wirkungsort >Stadt<: Ist dieser Ort günstig für künstlerische Arbeit, ist der notwendige Nährboden auch außerhalb von Hochschulen und Kunstinstitutionen vorhanden? Wollen wir hier bleiben und warum, oder zieht es uns in eine andere Metropole?"

Aber auf diese Fragen erhält die Leserin in einem analytischen Sinne keine Antwort. Das Grundkonzept des Kataloges ist paradigmatisch, Beispiele von Kunstproduktion, Beispiele "städtischer Öffentlichkeit" (oder nicht-Öffentlichkeit), Beispiele theoretischer Positionen.

Insofern greift auch die von Germer geübte Kritik nicht, die Ausstellung hätte sich auf "städtische Phänomene" anstatt auf "städtische Strukturen" konzentriert. Was hülfen "städtische Strukturen", wenn ihnen die Vermittlung in die Position der Fragenden mangelte. Weder die Texte von Klaus Ronneberger, Tobias Thomas oder Stefan Germer entbehren einer analytischen Einsicht in die von ihnen aufgestellten Komplexe, aber im Zusammenhang, in der Konstruktion einer möglichen Einheit, des Kataloges wirken sie seltsam verloren. Die von Ronneberger emphatisch beschworene "Globalisierung der Ökonomie" hat scheints auf die Zusammenführung von Aussagekraft noch keinen Einfluß genommen. Stattdessen gibt es eine "Global Human AG", deren markige Worte ("Genießen Sie mit Aura Aktiva die großartige Subjektwerdung von Menschen und erleben Sie dabei selbst Ihre Fähigkeit transitorisch werden zu können."(!)) nur schwer den dahinter stehenden Zynismus und dem unvermeidlichen Gefühl eine kleine Nummer bleiben zu müssen, verbergen können. Diese protzige "Gobal Human AG" hat eine c/o-Anschrift und die Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Düsseldorf!

Treffender läßt sich die Belanglosigkeit und Provinzialität heutiger Kunstpraxis bei gleichzeitigem Größenwahn kaum darstellen. Traurig, wenn es auch noch kritisch gemeint sein sollte. Auch der Beitrag von Tobias Thomas "Neue Leere, neuer Inhalt. Partyphänomene 96" kommt über eine durchweg zutreffende Kritik derzeitiger Partykultur an einer Herorisierung von Drogenkonsum (als ein Beispiel) nicht hinaus und gipfelt, gerade wo der Ausweg gezeigt werden sollte, in schwammigen Aufforderungen a la Deleuze/Guattari: "Vermischt die Geschlechter, verwischt alle Grenzen, erfindet neue Beziehungen" Bloß wie, wenn im aufgezeigten Kontext nicht einmal deutlich wird, was "Geschlecht" noch bedeuten mag.

Daß wir sehr wenig wissen, wußte bereits Sokrates. Es wären aber auf die Fragestellung durchaus auch Antworten möglich. Wie sieht denn die Situation künstlerischer Arbeit in Frankfurt überhaupt aus? Wer arbeitet was, und wie? Wer erhält welche Unterstützung, wer nicht, und warum? Wer entscheidet, und warum? Wie leben "die Leute" eigentlich?

Daß diese Fragen im Rahmen des Kataloges nicht beantwortet werden und eher der Arbeit von Soziologen überlassen bleiben, zeigt meines Erachtens ein Grundproblem heutiger Kunstproduktion.

Ähnlich Foucaults Herausarbeitung einer Episteme, die nicht kritisch und empirisch und positivistisch und eschatologisch zugleich sein könne, mag Kunst zur Zeit nicht gleichzeitig utopisch und gegenwärtig, phantastisch und realistisch, Bezug nehmend und unbezüglich sich geben.

Ein Bohmemian kann nicht auch Sozialarbeiter sein. Kunst nicht sowohl Arbeit wie radikaler Müßiggang. Dieses Dilemma als "disparate Montage" auszugeben, verschleiert nur das Problem. Aber jedes Dilemma läßt sich auch aussitzen, solange in die Warteschleife geben, bis es nicht mehr so drängend empfunden wird. Und so mag es vielleicht nicht das schlechteste (immer besser als der Tod) gewesen sein, den in Zwischennutzung empfangenen Ausstellungsraum in Zwischennutzung (bis zum Abriß des Gebäudes) als Partylocation weiter zu betreiben. Durchaus im Sinne der Herausgeber: "Eine Art >Kulturraum<, der - gemäß seiner Situiertheit - das Entstehen eines sozialen Gefüges mit dem Kunstsystem mischt und als Nutzraum ohne (Profit)Nutzen in Erscheinung tritt." Das ist Partytheorie live. Es folgt immer eine Party nach der letzten Party!

Es wäre aber nun ungerecht gegenüber der durchaus drängenden Thematik des Kataloges aus dem Ende der Party auf die Party zum Ende schließen zu wollen.

Stefan Germer entwickelt in seiner Kritik auf der Basis von Michel de Certeaus Unterscheidung von Strategie und Taktik individuellen Handelns ein fruchtbares Feld zur Auseinandersetzung mit diesem Katalog.

Gegeben sei, daß der Katalog im weitesten Sinne Beispiele taktischen Handelns in Bezug auf das städtische Umfeld offeriert. Daß er dabei darauf verzichtet Zusammenhänge und Querverweise explizit herzustellen, gehört zur Eigenschaft der Taktik. Jede ist irgendwie Einzelkämpferin, die sich lose mit anderen Einzelkämpferinnen in einem regellosen Spiel namens "Kunst" zusammengeworfen sieht. Jeder spielt seinen eigenen Ball und sein eigenes Tor, verläßt oder betritt das Spiel wie es ihm gefällt, sucht Verbündete oder auch nicht.

Handeln heißt vor allem: Ergreifen von Gelegenheiten (was typisch romantisch ist). Auf diese Weise enthüllt aber das taktische Verfahren das Schreckliche und Bedrohliche ohne es explizit beim Namen zu nennen. Kein Text macht das deutlicher als die bedrückende Beschreibung einer sich verfolgt fühlenden Frau in Los Angeles. Dem Phänomen des "Stalkers" (Verfolgers) kommt sie nicht bei, er sieht alles, weiß alles, kommt überall hinein. Frau ist ihm machtlos ausgeliefert.

Nun mag Frankfurt nicht Los Angeles sein, aber mir scheint der gesamte Katalog von einem impliziten Gefühl des Bedroht- und Gefährdetseins durchzogen zu sein. Erinnert nicht schon der Begriff "Zwischennutzung" an fahrende Leute, an ein nicht Zuhause sein können, an ein Ausgeschlossen sein, nicht Teilhaben dürfen? Eine vielleicht Anfangs lustig wirkende Fotomontage von Thomas Erdelmeier und Manfred Schneider einen Hochstand, Jägersitz, auf das Dach des Parkhauses, in dem sich der Ausstellungsraum befand, aufzustellen, entwickelt angesichts der umstehenden Bankenhochhäuser den Eindruck einer Verzweifelungstat. Wirken nicht die bedrohlich aufragenden Geldtürme nicht selbst wie Schießstände, die schmalen Fensterschlitze wie Schießscharten? Wer schießt hier auf wen?

Bekommt nicht die derzeitige Zeitbeschreibung als "Entspannung" eine neue Dimension, heißt die vielzitierte "Globalisierung" nicht besser "Einkesselung", wenn auf die Raketensilos jetzt Geld- und Machtsilos folgen, deren weitgehend anonyme Architektur ("global" heißt doch in diesem Zusammenhang soviel wie "überall gleich") ein Innenleben tarnt, auf das schon gar nicht Künstler Einfluß nehmen können. Für wen arbeitet jetzt das aus der Rüstung entlassene Geld? "Zwischennutzung" meint doch, soweit, bis an dieser Stelle ein "modernes Bürohaus mit 56 Stockwerken" (Baustellenschild) hoch-gerüstet wird.

An vielerlei Stellen des Kataloges (so auch in dem drängenden und ungeduldigen Plädoyers Thomas Erdelmeiers Parallelöffentlichkeiten einzurichten) scheint ein Unbehagen mit den "Zuständen" auf, ohne, daß immer so klar würde, worin ihre Unbehaglichkeit eigentlich besteht.

Philosophie, betont Heidegger, Novalis zitierend, sei das Heimweh danach, überall Zuhause sein zu können. Auf was verweist, im Umkehrschluß, die Unfähigkeit Zuhause zu sein können? Auf die Unmöglichkeit von Philosophie, auf die Unnötigkeit von Philosophie, auf die Möglichkeit von Nicht-Philosophie, auf die Nötigkeit von Nicht-Philosophie? Nicht im Ausbleiben der Präperation der Unheimlichkeit des Zuhauses, wie Germer meint, läge eine Fehl-Leistung des Kataloges, sondern in der fraglichen Fraglosigkeit der Ausstellung der Unheimlichkeit des Nicht-Zuhause-sein-könnens. Als Leistung bleibt sie leider nur implizit.

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Sorry, geht grad nicht.

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