Texte zur Kunst und Netzkunst 1996 - 2002

Innenstadt und innere Sicherheit

Posted by Stefan Beck on Monday, January 13, 1997
Am zurückliegenden Wochenende fand hier in Frankfurt unter dem Titel "Innenstadt AG" ein Koordinationstreffen zum Thema Innenstadt und innere Sicherheit statt. Als Nachfolgeveranstaltung zu dem im Oktober 96 in Berlin stattgefundenen "minus 96" kamen Gruppen und interessierte Menschen aus Hamburg, Berlin, Kassel, Bonn, Köln, Frankfurt, Münschen, Erlangen, Nürnberg und Zürich.
Ziel des Treffens war zu
überlegen, ob und wie eine gemeinsame Kampagne zu den Themen Rassismus, Drogenpolitik und innere Sicherheit im städtischen Raum in ganz Deutschland (und der Schweiz) gestaltet werden könnte.
Ich kann nicht über das ganze Treffen berichten (dazu kommen vielleicht andere Stimmen und die gehaltenen Referate), möchte aber einige Gedanken zu den Gesprächen in meiner Arbeitsgruppe mitteilen:
Anhand den Berichten über die im September in Frankfurt stattgefundene Aktion "Wir kotzen auf die Zeil" wurde kritisiert, daß diese Aktion bloß "symbolisch" im Gegensatz von "pragmatisch" geblieben sei. "Pragmatisch" bedeute wirkliche Veränderungen zu erreichen, wie z.B. Flüchtlinge vor der Abschiebung zu bewahren. Abgesehen davon, daß solcherart von Interventionen unter den gegebenen Umständen nur selten gelingen, empfinde ich eine Unterteilung in "symbolisch" und "pragmatisch" als äußerst unglücklich, nicht bloß, weil sich da ein vermeintliches Richtig von Falsch zu scheiden droht, sondern, weil auch die Maschinerie von Repression und Unterdrückung auch vielfach nur durch Symbolde wirkt, Uniformen, Befehlssprache, zeichenhafter und medialer Präsenz u.a. Gerade Sprache spielt hier eine wesentliche Rolle, wie sich, leider auch unter den Seminarteilnehmern, an der Überbetonung von visuellen Erscheinungen ablesen läßt. Da werden Menschen als "arabisch aussehend", als "Afrikaner" oder nur als "Schwarze" beschrieben, ohne einmal nachzufragen, welche Sprache diese Menschen überhaupt sprechen. "Spechen sie Mbungu?" ist eine Frage, die wahrscheinlich hierzulande auf doppelte Verständnislosigkeit stieße; zum einen, weil kaum jemand weiss, wo Mbungu gesprochen wird (i.e. in Angola), zum anderen, weil die Relevanz Mbungu zu sprechen, von einigen "Schwarzen" abgesehen, in Deutschland keinerlei Stellenwert besitzen dürfte.*** Damit wird zugleich das Problem einer Stellvertreterpolitik berührt. Nach einigem Nachdenken konnten wir uns zwar daruf einigen, daß wir in keiner Stadt leben wollen, in der MigrantInnen und Flüchlinge ausgegrenzt, vertrieben oder sicherheitsdienstlich behandelt werden, aber auf welche Weise wir uns ihnen denn nähern wollen, bleibt weiter unklar. Bis auf weiteres gilt: Man spricht Deutsch.
Problematisch blieb auch die Frage nach der Bedeutung von Innenstadt. Wollen wir überhaupt dorthin, wo es doch schon so häßlich dort ist.
Für mich stellt das sich so da. Gerade im Zuge der in den 80ern begonnenen Musealisierung von Innenstädten (Shopping MAlls sind letztlich Museen entlehnt) erfährt die Innenstadt eine erheblich Aufwertung als Speicher von Identität und Geschichte, letztlich also von Macht. Das Thema Innenstadt heißt, wer hat die Macht, sich in den von ihr aufgespannten historischen, sozialen und kulturellen Raum einzuschreiben, nachdem sie als Aufzeichnungsmatrize entsprechend sensibilisiert wurde? (Die ganze Sicherheitsmaschinerie, Kameras etc, funktioniert ja wie ein Gedächnis.) Denn die Innenstadt wird ja gewollt so aufgezogen, so unverwechselbar gemacht (oder auch nicht, wenn Städt sich wie Sammler verhalten, die höhere Ebene sich "ihren" Foster, Gehry oder Koolhaas kaufen), daß sich eine bestimmte Gruppe von Menschen, Shopper, dort einschreiben kann. (Man hörte das gequälte Lamentieren als nach der Ausweitung der Ladenschlußzeiten der erhoffte Kaufrausch ausblieb.) Die Frage heißt demnach auch, will ich mich dort einschreiben, will ich meine eigenen Vorstellung von Einschreibung in die Innenstadt formulieren und in Konkurrenz zu anderen Arten von Einschreibung setzen?
Zuletzt kam noch die Frage auf, an wen sich eigentlich richten, wenn Öffentlichkeit nur noch Konsens über den rassistischen Grundtenor von Stadtpolitik bedeute. Es mag zwar sein, daß die Medien gerne einen Konsens über bestimmte Maßnahmen verbreiten wollen, aber damit ist über seine Herstellung noch nicht viel ausgesagt. Zwar mag die Mehrheit der Bevölkerung dafür sein, daß "kriminelle ausländische Drogendealer" schnellstens ausgewiesen werden sollten, aber analog zu obigen Beispiel bin ich mir nicht so sicher, ob jeglicher Ugo-Sprecher sofort der Ausweisung überstellt würde. Es kommt doch sehr auf die Art der Formulierung an, die den Leuten in den Mund gelegt wird. Und wie innerhalb des gegenwärtigen Szenario eines "Kampfes" (Verbrechens-be-kämpfung) den vermeintlich bekämpften Personen eine Subjektivität zurückgegeben werden kann, die die Gegenseit längst für sich in Anspruch genommen hat ("Braver Familienvater als Opfer ausländischer Gewalt"). Mit der Auslöschung der gegnerischen Identität schreibt sich ein Generalthema des 20. Jahrhunderts fort. Schon Ernst Jünger verkündete 1930: "Nicht wofür wir kämpfen ist wichtig, sondern, daß wir kämpfen."

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Wie herbeigerufen, fand sich gestern, Montag, den 13.1.97 in der Frankfurter Rundschau ein Artikel zur französischen Sprachpolitik unter dem Titel "Warum Gott in Afrika französisch spricht."
Darin führt der Autor Stefan Brüne vom Deutschen Übersee-Institut in Hamburg folgendes aus:
Die Notwendigkeit französisch zu sprechen und zu unterrichten war keineswegs von Anfang an Bestandteil der französischen Kolonial- und Außenpolitik, sondern wurde bis zum zweiten Weltkrieg eher stiefmütterlich behandelt. So gab es 1945 in französisch beeinflußen Gebieten Afrikas nur 14.000 Grund- und 200 Sekundarschüler. Das Bekenntnis zur Frankophonie als aktivem Bestandteil der kulturellen Außenpolitik setzte sich erst im Zuge der afrikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen und eher zögerlich durch. Überraschenderweise zeigten gerade die gerade von Frankreich abgefallenen Staaten ein größeres Interesse an der französischen Sprache als die ehemalige Kolonialmacht selbst. Französischer Unterricht und anderer Kulturtransfer mußte nachgerade eingefordert werden, als daß er selbständiger Teil französischer Außenpolitik gewesen wäre. Zur Verdeutlichung dieser Merkwürdigkeit, die von Leopold Senghor, Senegal, dem Nestor der Frankophonie, angeführten Gründe das Französische einheimischen afrikanischen Sprachen vorzuziehen: "(a) das reiche, präzise, vernunftbezogene und abstrakte Vokabular, (b) ein durch 'keltische Leidenschaft' belebter Stil, der 'eine Symbiose aus griechischer Subtilität und lateinischer Strenge' darstelle, (c) der französische Humanismus und (d) eine Syntax, die das primitive Nebeneinander negro-afrikanischer Sprachen durch abstrakte und hierarchische Elemente überwinde:'A la syntaxe de juxtaposition des langues négro-africaines, s'oppose la syntaxe de subordination du français; à la syntaxe du concret vécu, celle de l'abstrait pensé: pour tout dire, la syntaxe de la raison à celle de l'émotion.'" -- ganz erstaunlich diese Einschätzung von einem "Afrikaner"; auch wenn der Autor, Brüne, nicht diesen expliziten Schluß daraus zieht, so scheint es mir doch nahezuliegen, daß mit der Präferenz der Sprache der ehemaligen Herren schließlich die eigene Position als Herrscher legitimiert werden soll; innerhalb des unvermeidlichen Kampfes um die Macht ist es gegebene Praxis statt aus den bestehenden Elementen (den einheimischen Stammessprachen) sich auf ein außen liegendes Element zu beziehen, um so Überparteilichkeit zu demonstrieren. --
Den eigentlichen Aufschwung erlebte die Frankophonie erst in den 80er Jahren - erst 1986 wurde ihr ein eigenes Ministerium gegeben - vor dem Hintergrund des weltweiten Vordringen des Englischen als Verkehrssprache und der Angst vor der Bedeutungslosigkeit des Französischen. Trotzdem verloren die vermehrten Anstrengungen (u.a. durch Gründung einer französischsprachigen Verwaltungshochschule in Kairo und einem frankophonen Satelliten-Fernsehen) an Kraft durch die Frage, welches französisch sprechende Land das Französische am Besten vertrete. Weder Quebec, noch Belgien oder die Schweiz ware bereit die Vorherrschaft über die Frankophonie umstandslos an Frankreich abzutreten. Darüber hinaus besteht innerhalb aller frankophoner Länder keine Einigkeit über die Natur der Frage, auf die die Frankophonie eine Antwort wäre, so Stefan Brüne. Nach seiner Einschätzung "deute vieles daraufhin, daß die Versuchung, die Frankophonie zur Sicherung von Kultur- und Diskurshoheit zu machen, als defensiver Reflex beschrieben werden müsse ()"

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Sorry, geht grad nicht.

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