Texte zur Kunst und Netzkunst 1996 - 2002

Erziehungskomplex - Rainer Ganahl in der Generali Wien

Posted by Stefan Beck on Sunday, February 23, 1997
Was soll es sein?
Aus dem Pressetext: "'Erziehungskomplex' ist eine Ausstellung, mit der Rainer Ganahl versucht, genau jenen Ort aufzusuchen, wo der Kontext Kunst sein gehaßtes Anderes vorfindet: den der Erziehung, der Bildung und seiner Institutionen. [] Thematik der Ausstellung ist das Feld der Erziehung, Bildung, Intellektuelle und Institutionen. Ganahl mißt diesen in der Kunst kaum repräsentierten Bereichen unserer Gesellschaft eine besonders wichtige und politische Bedeutung bei. Die Intellektualisierung von Kunst mit der Überlappung von Kunst und (universitärem) Diskurs spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die Frage nach dem Medium der Ausstellung selbst."
Was ist zu sehen?

In dem neu etablierten Ausstellungsraum des Wiener Versicherungskonzerns EA Generali dominieren eine lange Reihe von Farbfotografien, die Ganahl während der Jahre 1995-97 in Seminaren von Intellektuellen aufgenommen hat, die derzeitig in der Kunst (aber nicht nur da) als theoretische Leuchtfeuer fungieren, wie Derrida, Said, Cicoux, Kristeva, Kittler, Bolz u.a.***

Begleitend dazu finden sich eine Arbeit von Mike Kelley, Filme von Frederick Wiseman und Lindsay Anderson , sowie Fotografien von Candida Höfer, die alle um das Thema Erziehung kreisen.

Der Titel der Ausstellung "Erziehungskomplex" bezieht sich auf eine andere Arbeit von Mike Kelley, "Educational Complex", in der Kelley alle Schulhäuser seiner Kindheit als Holzmodelle aus seiner Erinnerung heraus nachbildete.

Dieses höchst instruktive Werk war auf der Ausstellung leider nicht zu sehen, obwohl es gerade für sie, ich möchte sagen, von außerordentlichem didaktischem Wert gewesen wäre.

An den Fotos von Rainer Ganahl fällt zum ersten auf, daß sie relativ unspezifisch sind, sie enthalten keine besondere Perspektive oder Ausrichtung auf ihr Thema, das Seminar, sondern kommen amateurhaften Aufnahmen nahe, wie sie jede/r von uns an diesen Orten hätte machen können.

Das zeigt sich gerade am Vergleich mit den Arbeiten von Candida Höfer, die in einer eigenen visuellen Sprache rigeros die vor ihr befindlichen Objekte, Bibliotheken und Hörsäale, in ihr Bild faßt.

Jedes Foto stellt gewissermaßen einen Archetypus des abgebildeten Raumes vor, der nur so und nicht anders sein kann. Jedes Bild prägt.

Ganahls Arbeiten, die oft von einem Seminar mehrere Ansichten zeigen, den Vortragenden, die Zuhörenden und die Gesamtsituation, sind streunender, gleich einem Flaneur, der ein wenig ziellos, von einem zu dem anderen Punkt wechselt, ohne sich entscheiden zu können, wo er bleiben mag, ganz wie Ganahl selbst von einem Seminar zum nächsten reiste, um dort einen kleinen, vergänglichen Moment einzufangen.

Am wenigsten sind es Portraits, die er liefert, sie haben keine Physiognomie. Wo Höfer Abbildungen ihrer Subjekte liefert, denke ich, sind es bei Ganahl am ehesten Einbildungen, die Bilder sind wie zu sich selbst gewendet, fast als bindete ihre Existenz an die Überraschung, daß sie überhaupt das Labor verlassen hätten.

Was ist zu kritisieren?

Gegeben ich habe verstanden, um was es Rainer Ganahl eigentlich geht, um eine Analyse des Prozesses der kulturellen Reproduktion als Bedingung für jeglichen Diskurs über Kunst und Kultur, so findet sich Kritik an zweierlei Punkten, einem inhaltlichen und einem formalen.

Inhaltlich stellt sich die Frage nach der Determination des aufgezeigten Phänomenbereichs. Ganahl geht an keiner Stelle auf die Auswahlwürdigkeit, der von ihm dargestellten Subjekte ein.

Er setzt einfach voraus, daß die von ihm fotografierten Personen exemplarisch für das Thema stehen. Selbst wenn ich berücksichtige, daß er in seiner Einleitung zu den Fotografien darauf hinweist, daß die von ihm demonstrierten Lehrpersonen an sehr teueren und oder sehr bedeutenden Institutionen wirken, setzt er einfach Geld und Wichtigkeit mit Macht gleich, was er doch erst beweisen wollte. (Die Tatsache, daß die betreffenden Institutionen das sehr wohl tun, sollte doch kein Anreiz für den Forscher sein, ihnen nachzueifern.)

Damit setzt sich Ganahl dem Verdacht aus, sich in die von ihm konstruierte Reihe einfügen zu wollen. Daß er alle diese berühmten Menschen fotografiert hat, legt den Schluß nahe, daß er nicht so unwichtig sein kann, daß ihm das verwehrt worden wäre. Der Hoffotograf sonnt sich schließlich im Glanze der Monarchen.

In eine andere Richtung weist da noch die Frage, warum Ganahl sein Thema eigentlich nur an Personen festgemacht hat.

Zu einem "Erziehungskomplex" gehört doch auch, wie Kelley schön demonstrierte, auch ein Gebäude. Wenn auch die Fotografien der Inneneinrichtung der Seminarräume einen gewissen Platz einräumen, so hätte ich es auch von instruktivem Interesse gefunden, wenn auch mal das Gebäude, in dem solche bedeutenden Lehrveranstaltungen stattfinden, von außen gezeigt worden wäre; vielleicht auch von seiner vielleicht nicht ganz so schönen Rückseite?

Oder ging es bei der Beschränkung darum den Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft zu erwecken, zu der nur Eingeweihte Zutritt haben?

Wenn ja, dann zurück zum Anfang.

Formal dagegen bleibt noch an anderer Stelle anzuecken, nämlich an der Funktion des Bildes.

Ganahl präsentiert das Ergebnis seiner Forschungen in Bildern, genauer in Fotografien.

Nun schreibt Wittgenstein: "Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf." Das heißt mir, was immer ich sehe, muß ich im Bild sehen; sonst wäre es ein Spiegel.

Damit ist aber die Frage der Analytik des Bildes im Hinblick auf den es umgebenden Themenkomplex gestellt.

Meine Frage lautet: Was soll ich in den Bildern erkennen können, damit ich eine Erkenntnis über den Gegenstandsbereich "Erziehungskomplex" erzielen kann?

Eine hypothetische Antwort wäre z. B.: In den Seminaren von XY sitzen nur weiße männliche Angehörige der oberen Mittelschicht. Was zwar einigermaßen konkret, aber soziologisch noch äußerst vage wäre.

Aber aus allen Bildern kann ich persönlich keine Erkenntnis von obiger Schärfe gewinnen.

Die Bilder sind hinsichtlich ihrer Gegenstände diffus und undifferenziert. Mehr als ein "Aha, so geht es eben bei XY zu" kann ich nicht gewinnen. Es ist eben so wie es ist. Der Uni-Alltag drüben sieht nicht wesentlich anders aus, als wie ich meinen hier erlebt habe, flau, grau und kontourlos. Was aber keine besondere Erkenntnis ist.

Ich denke, daß gegenüber dem außerordentlichen und berechtigtem Erkenntnisinteresse von Ganahls Unternehmung die Fotografien haltlos zurückbleiben.

Sie sind noch nicht einmal schlechter Fotojournalismus. Dagegen demonstriert Candida Höfer sehr wohl, welcher Analytik eine Fotografie fähig ist, Organisation des Gegenstandes unter ein Perspektive, die mit logischer Notwendigkeit aus dem Gegenstand selbst sich herleitet. Auch dazu kann ich mich erziehen.
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Rainer Ganahl, Erziehungskomplex
Generali Foundation
Wiedner Hauptstraße 15
A-1040 Wien
30. Januar - 6. April 1997

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Sorry, geht grad nicht.

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