Texte zur Kunst und Netzkunst 1996 - 2002

Stumpfs Kreuz - Manfred Stumpf in der Galerie ak

Posted by Stefan Beck on Monday, April 14, 1997
Zu der neusten Ausstellung des Frankfurter Künstlers Manfred Stumpf hat die Galerie ak wie folgt eingeladen:

"Sehr geehrte Damen und Herren,
ab Anfang März hat Manfred Stumpf in den Räumen der Galerie ak unter dem Titel "Leben lernen" die Passionsgeschichte bildlich aktualisiert..."
"...In diesem Monat wurden die zentralen Stationen der neutestamentarischen Mythologie - Einzug in Jerusalem, Abendmahl, Gethsemane, Geisselung, Prozess, Kreuzweg, Golgatha, Auferstehung - nacheinander szenisch dargestellt. Resultierend aus dieser "imitatio christi" entstanden Zeichnungen an den Wänden der Galerie.
Zeitlicher Ablauf:

5. März Einzug in Jerusalem.
Installation von Zeichnungen in Zusammenhang mit gleichnamiger Buchpublikation.

6. März Abendmahl
Abendessen mit 12 ausgewählten Personen; Tisch bleibt als Teil der Ausstellung bestehen.

In der Nacht Gebet auf dem Ölberg (Gethsemane)
3 der Tischgäste werden die Nacht über mit dem Künstler in der Galerie verbringen; es entsteht ein Bild.

17. März Geisselung
es entsteht ein weiteres Bild in Zusammenhang mit einer Performance, "bei der mir 2 extrem kritische Kontrahenten offen ihre Meinung ins Gesicht spucken" (Stumpf)

19. März Konstantin Adamopoulos wird verschiedene Diskussionspartner zu einem Streitgespräch einladen, bei dem zum einen allgemein über das Verhältnis Kunst und Religion und zum anderen die Glaubwürdigkeit im Werk von Stumpf verhandelt wird.

28. März Kreuzigung
Kreuztragung durch die Stadt; Manfred Stumpf trägt ein schweres Kreuzobjekt in die Ausstellung

29. März Auferstehung
Arbeit am Auferstehungsmotiv bis in die Osternacht, es entsteht das letzte Bild.

30. März um 5:45 Uhr Teilnahme am öffentlichen Osterfeuer am Römerberg, anschließend Osterfest und Eröffnung der Ausstellung in der Galerie.

Bis 10. Mai Die Ausstellung der entstandenen Werke ist während der gewohnten Öffnungszeiten zu sehen."

Ein starkes Stück. Der Text soll offensichtlich provozieren, und ich empfinde ihn auch als Provokation in zweierlei Hinsicht.

Natürlich ringt jede "imitatio christi" um das richtige Bild des historischen Jesus Christus.

Dies kann und muß jede Zeit anders sehen, und im Laufe von zweitausend Jahren sind auch verschiedene eigentümliche Bilder gefunden worden (vielleicht die bedeutendsten von Dostojevsky, Christus als Verbrecher oder Geisteskranker, und Nietzsche, Christus als Anti-Christ, als Teufel und Verderber).

In dieser Tradition steht Stumpf und hieran will er gemessen werden.

Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit heute überhaupt noch eine Beschäftigung mit dem Christentum als Heilsbotschaft nach den fundamentalen Kritiken des 19. Jahrhunderts noch relevant sein kann.

Stumpf ist darin, scheint mir, in beider Hinsicht naiv. Verglichen mit Joseph Beuys z. B. fehlt ihm jegliche Durchdringung oder Eigengestaltung des Themas.

Die in der Galerie gezeigten Bilder der Passionsgeschichte sind mehr oder weniger an Popart (Jesus Christ Superstar) orientierte zeitliche Einfärbungen der biblischen Sujets (Christus in Gethsemane von behelmten Polizisten umringt als ginge es um eine Sitzblockade vor Mutlangen). Darin war das Hippie-Kino schon weiter.

Eine Ideologie-Kritik ist von Stumpf nicht zu erwarten. Zu sehr steckt er in der von ihm vor-vorgestellten moralischen Entrüstung über seinen Stoff.

Der Offenbacher "Skandal" um die von ihm mit Palmzweigen geschmückten Müllwagen hat ihm darin den Weg gewiesen.

Das wird dann erst deutlich, wenn wir vom verhüllenden historischen Ballast der christlichen Heilsgeschichte einmal absehen und eine andere nicht weniger durchdringende Ideologie an ihre Stelle rücken, den Stalinismus z. B.

Eine "imitatio Stalin" wäre heute nicht nur lächerlich, sondern auch zynisch gegenüber den Millionen Opfern des Terrorregimes.

Ein Aufarbeitung in künstlerischer Weise kann daher nur als Brechung vollzogen werden, wie es etwa die russischen Realisten Komar & Melamid beweisen, die den sozialistischen Realismus durch seine eigenen Mittel zu übertrumpfen suchen.

Solch zuckersüßer Kitsch ist nur um den Preis des Giftes zu genießen. Stumpf nahebringen zu wollen, daß es auch im Christentum Opfer gegeben hat, muß vergeblich anmuten. Als Opfer sieht er nur sich selbst, der, auf Video dokumentiert, seine lahmen Eleven dazu ermuntert, ihn mit Elekrokabeln zu traktieren. Kein Fetischismus könnte schöner sein. Beweise.

Wer die Vorstellung hegt, Kritik könne nur von "extrem kritischen Kontrahenten" kommen, die ihm "offen ihre Meinung ins Gesicht spucken", der wird einer suchenden Exploration von Gründen für sein Verhalten kaum zugänglich sein.

Ich habe mir daher erlaubt, an der Galeristen der Ausstellung, den ich hiermit auch nochmal fragen möchte, wie er eine solche Ausstellung vertreten kann, meine kleine Vorstellung geschickt, wie eine "imitatio christi" heute aussehen könnte:

Sehr geehrter Herr Sworowski,
ich fühle mich nicht berufen Sie in Ihrem Versuch, der Öffentlichkeit "christliche Kunst" nahezubringen über die fundamentale Kritik des 19. Jahrhunderts (von Marx über Nietzsche bis Leon Bloy) am Christentum aufzuklären, die offensichtlich, schon im Namen der Opfer des Christentums, Sie nicht zu beachten scheinen;stattdessen möchte ich Ihnen eine kleine, geringfügige und lokale Umdeutung Ihrer Ausstellung vorschlagen:

Jesus Christus = Manfred Stumpf = Deutsche Bank

Demnach läse sich die ganze Sache, etwas abgekürzt, wie folgt:

5. März Einzug der Deutschen Bank in Jerusalem

6. März Abendmahl der Deutschen Bank

In der Nacht Gebet der Deutschen Bank auf dem Ölberg
[] Es entsteht der Deutschen Bank ein Bild

17. März
"2 extrem kritische Kontrahenten spucken der Deutschen Bank offen ihre Meinung ins Gesicht"

19. März Prozess der Deutschen Bank

Konstantin Adamopoulos wird verschiedene Diskussionspartner zu einem Streitgespräch einladen, bei dem zum einen allge mein über das Verhältnis von Kunst und Kommerz und zum anderen die Glaubwürdigkeit im Werk der Deutschen Bank verhandelt wird.

28. März Kreuzigung der Deutschen Bank
Die Deutsche Bank trägt ein schweres Kreuzobjekt in die Ausstellung

29. März Auferstehung der Deutschen Bank
Es entsteht das letzte Bild der Deutschen Bank

30. März Ausstellung der Deutschen Bank in der Galerie
usw usw usw

Gerne würde ich mich bereit erklären eine solche Ausstellung mit Ihnen zu kuratieren.
Auf Ihre positive Antwort freut sich
Ihr
Stefan Beck

P.S. Wie ich jetzt erfahren habe existiert die Galerie ak eigentlich nicht mehr. Galerist Sworowski betreibt in Griechenland ein Restaurant und überläßt die Galerieräume "seinen" Künstlern zur Eigennutzung.

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Sorry, geht grad nicht.

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